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Demokratie in Amerika - Barack Obama und die Erbschaft Abraham Lincolns

Michael Werz, Foto: © John C. Ensslin

22. Januar 2009
Von Michael Werz
Barack Obama hat sich die Aufgabe gestellt, eine neue Ära zu beginnen, indem er die alten emanzipatorischen Traditionen wieder aufleben lässt. In den vergangenen Tagen war Präsident Lincoln immer wieder ein Bezugspunkt für Obama.

Von Michael Werz

Die epochale Februarwoche in Washington begann so wie sie endete, mit Musik und Feiern. Vergangenen Sonntag trafen sich Musiker, Filmstars und politische Aktivisten vor dem Lincoln Memorial und zelebrierten den öffentlichen Auftakt - die Familie Obama anwesend und der Ort mit Bedacht gewählt.

Lincoln - ein ständiger Bezugspunkt für Obama

Abraham Lincoln, der Präsident, der in den Bürgerkrieg eintrat, um die Union der Vereinigten Staaten zu retten und ihn siegreich beendete, um die Sklaverei abzuschaffen, war in den vergangenen Tagen immer wieder Bezugspunkt für Barack Obama. Mit Lincolns Namen ist nicht nur seine berühmte Emanzipationsrede in Gettysburg im Jahr 1863 verbunden, sondern auch die Erfahrung des amerikanischen Bürgerkrieges. „Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit empfangen und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind“, begann Lincoln seine Ansprache, „nun stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese Nation… dauerhaft bestehen kann.“

Die Bedeutung des Bürgerkriegs für das amerikanische Selbstverständnis ist kaum zu überschätzen – ein gewalttätiges Gründungsereignis, dem über 180.000 Soldaten und Zivilisten zum Opfer fielen. Es war der erste mit fortgeschrittener Waffentechnologie geführte Konflikt, der die Union bewahren sollte und den befreiten Sklaven zu ihren Bürgerrechten verhalf. Der Eintritt Amerikas in die moderne Welt erfolgte nur wenig später mit der Übernahme neuer Territorien im Pazifik und in Lateinamerika. Die USA beendeten mit der ersten bedeutenden internationalen Militäroperation ihrer Geschichte das spanische Kolonialregime auf Kuba, Guam, Puerto Rico und den Philippinen.

Das moderne Amerika

Diese schnell aufeinander folgende innen- und außenpolitische Emanzipation veränderte das Land innerhalb kurzer Zeit, das moderne Amerika war entstanden. An diesen Neuanfang erinnerte Barack Obama nochmals, indem er seinen Amtseid auf der gleichen Bibel schwor, die Abraham Lincoln im Jahr 1861 benutzt hatte. Lincolns eigene Bibel war in den Bürgerkriegswirren während des Umzugs von Illinois nach Washington verloren gegangen. Ein Mitarbeiter des Obersten Gerichtshofs besorgte damals eine Ersatzbibel, gedruckt sieben Jahre zuvor von der Oxford University Press.

Die historische Brücke zu Abraham Lincoln ruft noch einen anderen Bezug wach, der 390 Jahre zurückreicht. Damals begann die Sklaverei auf nordamerikanischem Boden durch einen Zufall. Das holländische Schiff Weißer Löwe hatte zwanzig Afrikaner nach der Kaperung einer spanischen Galeone erbeutet, die in Richtung Mexiko in See gestochen war. In Virginia wurden Gefangene gegen Lebensmittel getauscht, Amerika hatte die ersten Sklaven importiert. Auch nach Unabhängigkeitskrieg und verfassungsgebender Versammlung bleib die düsterste aller amerikanischen Institutionen weitgehend intakt.

Zwei Jahrhunderte nach dem Weißen Löwen erreichte der französische Historiker Alexis De Tocqueville die Vereinigten Staaten und schrieb in seinem Bericht über die „Demokratie in Amerika“ wenige Jahre vor Lincolns Amtsantritt, dass selbst die Abschaffung der Leibeigenschaft das Rassenvorurteil nicht beseitigen würde, denn es sei „unveränderlich“.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schien dieses Urteil aktuell. Zur Amtseinführung von Barack Obama waren unter anderem sieben der neun Schüler eingeladen, die 1957 in die blutigen Auseinandersetzungen um integrierte Schulklassen in Little Rock Arkansas verwickelt waren. Damals verwehrte ihnen ein weißer Mob den Zutritt zur öffentlichen Schule, unterstützt von Gouverneur Orval Fabus, der sich sogar der Nationalgarde bediente, um die Rassentrennung aufrechtzuerhalten. Wenig später mobilisierte Präsident Eisenhower zum Schutz der schwarzen Schüler Einheiten der 101. Luftlandedivision nach Arkansas, die noch dreizehn Jahre zuvor in der Nacht vor der Normandie-Invasion bei Sainte-Mère-Église gegen die Wehrmacht gekämpft hatten. Abraham Lincolns Erbschaft musste vor fünfzig Jahren noch mit dem Bajonett verteidigt werden.

Erinnerung an alte emanzipatorische Traditionen

Um sich für seine Ansprache inspirieren zu lassen, hatte Barack Obama nach eigener Auskunft in den vorangegangenen Tagen Abraham Lincolns zweite Antrittsrede studiert, die mit der Aufforderung endete, einen „gerechten und dauerhaften Frieden unter uns und mit allen Nationen“ zu erreichen. Diese Formulierungen finden sich in leicht veränderter Form bei Barack Obama wieder, der die USA ins Zentrum der Welt zurückführen will. Der vorangegangene Schwur auf Lincolns Bibel stellte Obama und seine Regierung in einen Traditionszusammenhang mit der mythischen Figur der amerikanischen Zivilreligion. Um 12 Uhr legte Obama seinen Eid ab; nicht, wie in Deutschland vor dem Parlament, sondern vor dem Obersten Verfassungsrichter John Roberts – pikanterweise ein von George Bush ernannter Konservativer, gegen dessen Nominierung Obama im Senat gestimmt hatte.

Dass die Machtfülle des Präsidenten so sinnbildlich in der Autorität des Gesetzes seine Grenzen findet, gehört zum republikanischen Kernbestand. Die Trennung von Macht und Autorität entsprach dem Gegenentwurf der amerikanischen Revolutionäre zum europäischen Feudalstaat. Dort war der Wille des absoluten Souveräns zugleich Quelle von Macht und Gesetz. Demokratie aber beweist sich daran, dass das Gesetz in der Lage ist, die Macht zu kontrollieren und in Schach zu halten. Nach acht Jahren Bush-Administration und Diskussionen um die Exekutivbefugnisse des Präsidenten war diese eine Erinnerung an jene politischen Traditionen, die in den vergangenen Jahren unterminiert wurden. Barack Obama hat sich die Aufgabe gestellt, eine neue Ära zu beginnen, indem er die alten emanzipatorischen Traditionen wieder aufleben lässt.

 

Dr. Michael Werz ist Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States und Adjunct Professor am BMW Center for German and European Studies an der Universität von Georgetown in Washington DC.